in Herzengedanken an meine Schwester Lutzi…
liebend deinem Wunsch folgend:
Tagebucheintrag meiner Schwester vom 03.03.2017 –
an meinen Sohn und meine Familie:
„Meine schönste Reise“
Mir ist an diesem Tag etwas Unglaubliches passiert. Ich möchte es mal so beschreiben: ich ging auf eine ungewöhnliche Reise. Ist so sterben?
Ich hatte an diesem Morgen gegen 8.00 Uhr zum ersten Mal „Dronabinol-Tropfen“ eingenommen. Gegen 9.30 Uhr ging es dann los. Ich merkte, wie ich die Kontrolle über meinen Geist und meinen Körper verlor. Ich bekam Angst. Es war sehr unheimlich und ich konnte mir nicht erklären, was gerade geschah.
Schnell räumte ich noch mein Frühstück weg und dann musste ich mich auch schon hinlegen. Ich spürte, wie mich rasend schnell das Bewusstsein verließ. Aber trotzdem konnte ich noch in etwa einschätzen, was mit mir passierte.
Ich wollte meine Schwester anrufen, aber es ging nicht mehr. Ich wollte ihr sagen, dass ich mein Bewusstsein verliere. Ich konnte das Telefon noch holen, aber nicht mehr telefonieren.
Ich wusste, ich muss auch noch meine Freundin anrufen und ihr unseren täglichen Spaziergang absagen. Das habe ich dann auch noch gerade so geschafft. Ab dann ging nichts mehr.
Ich legte mich auf die Couch, schaffte es mit viel Mühe, mich zuzudecken und dann begann „meine Reise“. Zuerst sträubte ich mich noch dagegen, aber dann hatte ich keine Kraft mehr und ließ Allem seinen Lauf:
Alles entspannte, Körper und Geist und ich ging weg. Ich überlegte noch, was ich meinem Sohn und meiner Familie gerne gesagt hätte, aber es gab kein zurück. Das machte mich zuerst traurig, aber im nächsten Moment war alles in Ordnung. Es gab nur noch ein nach vorne. Die Traurigkeit schlug um in Loslassen. Meine Reise begann.
Ich hatte in kein Gepäck, nichts Schweres, es war alles ganz leicht. Eine große Erleichterung in jeder Hinsicht. Keine schweren Gedanken, Sorgen oder Probleme. Nur Leichtigkeit.
Ist so Sterben? Loslassen fällt gar nicht schwer, macht nicht traurig?
Nur noch Vorfreude auf eine wunderschöne Reise.
Meine Reise begann in meiner Kindheit in Brasilien. Ich hörte all die vertrauten Geräusche, die Grillen, die Vögel. Alles war voll wunderschöner Blumen. Ich hörte unsere Papageien und ich habe Antonio getroffen. Der Geruch von „zu Hause“ lag in der Luft.
Ich war an den Iguacu-Wasserfällen und auch am Rio de la Plata. Ich schob langsam meine Füße in den warmen, weichen Sand.
Dann war ich plötzlich mit meinem Sohn in einem Auto. Wir sind sehr schnell gefahren, haben Musik gehört. Er hat laut gesungen und wir haben zusammen gelacht. In diesem Moment hatte ich einen Adrenalistoß, den ich ganz bewusst gespürt habe. Es war ein großartiges Gefühl. Auch die Liebe zu meinem Sohn gab mir wieder einen unglaublichen Schub. Dieses Gefühl, dass ich nur für ihn habe. Überwältigend.
Ich war überall. Nichts Schlechtes begegnete mir. Schmetterlinge im Bauch. Alles war gut und irgendwie unglaublich schön und völlig vertraut.
Plötzlich, so auf meinem Wag, er wurde weiß und weich, stand ich vor einem wunderschönen Tor. Auch das Tor war ganz weiß. Es bestand aus zwei Flügeln.
Feine durchlässige Verzierungen säumten die Torrahmen. Es war nicht zu. Beide Flügel waren leicht nach innen geöffnet.
Ich blieb stehen. Hinter den Flügeln war ein sehr helles Licht. So, dass ich nichts erkennen konnte. Aber es blendete nicht. Es war einfach nur sehr, sehr hell und warm.
Da fragte mich auf einmal eine weibliche, sehr warme Stimme: „Was machst du hier?“ Ich konnte niemanden sehen. Die Stimme kam aus der Ecke des linken Flügels des wunderschönen Tores.
Ich blieb stehen und sagte: “Ich gehe spazieren und bin zufällig hier vorbei gekommen.“
Nach einer Weile fragte ich: „Warum nennt man das hier den Tod? Wenn man hier steht, ist es so wunderschön. Tod klingt kalt und dunkel, aber hier ist es ja warm und hell.“
Die Stimme fragte mich: „Willst du dem Tod einen anderen Namen geben?“ Ich sagte: „Ja, ich möchte den Buchstaben „d“ gerne durch ein „r“ ersetzen. Aus Tod soll Tor werden, denn das ist es doch, was ich hier sehe.“
Die Stimme sagte: „Das ist gut.“
Ich ging langsam weiter, drehte mich aber noch einmal um. Blieb stehen und wunderte mich: das Tor sah jetzt wieder ganz anders aus? Ich fragte die Stimme: „Warum sieht das Tor von hier ganz anders aus? Es ist immer noch wunderschön, kommt mir auch bekannt und vertraut vor, ich kenne dieses Bild, aber es ist anders.“
Die Stimme sagte: „Es ist immer schön, von wo aus du auch schaust, es passt immer.“
Ganz langsam ging ich beruhigt weiter. Mir war so schön warm. Eine Wärme, die genau „richtig“ ist.
Langsam kam ich, völlig entspannt, zu mir. Dies war die schönste Reise, die ich je gemacht habe. Ich trage sie fest in meinem Herzen. Ich spüre, sie hat sich tief in mir verankert. Sie gibt mir Ruhe, Gelassenheit und erfüllt mich mit einem ganz tiefen Frieden und trägt mich. (…)
Es war kein Abschied notwendig, da es keinen gab…