Handreichtum

Im vereinbarten Termin bin ich bei meinem Lieblings-Ostheopathen. Angenehmes Raumklima, wohltuende Atmosphäre. 
Auf seine Frage, wie es mir seit unserer letzten Begegnung ergangen sei, erzähle ich: insgesamt geht es mir soweit gut, einige Spannungen haben sich in Gelassenheit gewandelt und ich fühle mich lebendig und guten Mutes.

Doch in eben diesem Kontext erfahre ich derzeit etwas bisher Unbekanntes: Ich kann es drehen und wenden, wie ich möchte. Bei all mir vorliegenden Informationen und Erwägungen habe ich schlicht keine Angst vor der halbneuen Viruserkrankung. Damit bin ich in Frieden mit mir und in fröhlicher innerer Balance. 

Ich gehe davon aus, dass diejenigen, die in einer Situation weniger Angst haben, die Risiken aufwiegen und mutig handeln, konstruktive Entwicklung voranbringen. Nicht nur fürs sich selbst, sondern für alle. So lebe ich, es ist meine Überzeugung. 

Ob jemand in einer Situation mehr oder weniger Angst hat, ist eine wertfreie Begegnung. Wir alle haben Ängste und wie gut ist es, dann in Gemeinschaft mit anderen diese erleben und fließen lassen. 
Noch einmal: vor der halbneuen Viruserkrankung empfinde ich keine Angst. Punkt.
Jetzt erlebe ich allerdings von der Herde, dass dem nicht-Angst-haben eine moralische pseudo-Entwertung folgt. 
Dafür also, dass ich im Wesentlichen keine Angst habe, meint die Herde, als Anti-moralische Reaktion – „wie kann MAN nur (keine Angst haben)?“ – ihre Defizite im Ego vermeintlich ausgleichen zu können. Ein Paradoxon. Denn niemand fühlt sich mit Angst wohl. Auch nicht die Herde, die das scheinbar befürwortet.

Mal ganz davon abgesehen, dass mit solch einem Prinzip konstruktive Entwicklung blockiert wird – wieder ein gelungenes Herdentiermanipulationsmarketing.
So etwas habe ich bisher nicht erlebt. 
Und dennoch empfinde ich darüber hinweg eine wesentliche Verbundenheit in meiner Überzeugung. Womöglich verbindender denn je. 

Der Lieblings-Ostheopath schaut mich mit seinen braunen Augen an. Vertrauter Schimmer in diesem Blick. Er sagt: „Mir geht es da ganz ähnlich. Sie sind schon weit gekommen, Frau Roth, und es wird noch viel weiter gehen.“ Er lächelt.

Nach der Behandlung vereinbaren wir bald eine weitere Begegnung. Noch einmal sieht er mich lächelnd an und reicht mir seine offene Hand. Die Geste, die ich Monate lang vermisst habe. Fröhlich reiche ich ihm ebenfalls meine offene Hand. So sind wir in direkter körperlicher Verbindung. Die wohl schönste Handreichung.

„Auf Wiedersehen“
„Auf Wiedersehen“

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