Faust I – 12. Januar 2015

Goethes Faust (der Tragödie erster Teil) gehört zu den wenigen Kostbarkeiten, die, je weiter wir sie erforschen, immer neue und schönere Geheimnisse preisgeben.
So bin ich bei dieser Inszenierung überrascht, welche Freude daraus hervorgehen kann.
Hatte ich bisher, in tiefer Leidenschaft der unglaublichen Wortintensität, die Last der Zweifel als tragisch empfunden. So stellen sich nun neue Sichtweisen ein. Die erhaltende Lust am Wechselspiel der Ambivalenzen in der Akzeptanz, dass sie stets vorhanden sind. Die beiden Charaktere der Fliegenden Volksbühne, die aus Faust rezitieren und interpretieren, zeigen in facettenreichen Ausprägungen den Wechsel mitsamt der Gleichzeitigkeit von Scham und Enthemmung. „Gestatten Sie, dass ich aus mir heraus trete!“ Und dies womöglich auch im walpurgisnächtlichen Licht.
Hatte ich Goethes „ach“ bisher nicht ausreichende Bedeutung geschenkt. Ist es doch das „ach“, welches zwischen den beiden Seelen in der Brust wohnt. Es befähigt zu leiden, stellt aber ebenso die erleichternd lächelnd ausatmende Verbindung dieser beiden Seelen dar. Die Vielfalt und Intensität des „achs“ sollte daher nicht unterschätzt werden.
Mitsamt der Genialität Goethes, dessen Art zu Denken eines der schönsten Angebote überhaupt darstellt, werden Diskrepanzen der Wissenschaft und Leidenschaft einerlei, in der wir sie im Zeit-Raum-Kontinuum finden. „Man kann nur genießen, was vor Ort ist, während die Begierde ein zeitspezifisches Phänomen darstellt.“
Und dass es unter Schnaken, die lästig um einen herum sind, einige Schwierigkeiten bereitet, die Liebe zu gestehen, ist munter nachzuvollziehen. Doch es ist möglich, „sobald du dir vertraust“. Es entstehen Retter, die auch Früchte ernten.
Und so ist das Lesen in Goethes Faust immer wieder wunderbar. „Du musst lesen, bis du die Dinge tatsächlich siehst“, denn „durch das nicht gesagte werden erst die Vorstellungen verursacht“. Somit entfacht die Lebendigkeit, die über allem Zweifel steht.
„Zu neuen Ufern…“

„Ach! könnt ich doch auf Bergeshöhn
In deinem lieben Lichte gehn,
Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,
Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
Von allem Wissensqualm entladen,
In deinem Tau gesund mich baden!“ (Faust I, Vers 392)

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