Auf meiner Reise durch Potsdam (Nov 2012) stehe ich mit meinem Gepäck an der Straßenbahn-Haltestelle und suche nach meiner Verbindung zum Hotel. Eine nett aussehende ältere Frau spricht mich an „Wo wollen Sie denn hin?“ Ich denke zuerst, dass sie mir helfen will, merke dann aber, dass die Frau die hilflose ist. Sie möchte zum Bahnhof und kann offensichtlich den Plan nicht lesen. Das ist an sich ja nicht schlimm – ich komme mit den meisten Plänen auch nicht zurecht. Aber als sie auf die große Anzeigetafel nicht reagiert, merke ich, dass die Frau gar nicht lesen kann oder sehr schlecht sieht.
Dann fragt sie mich, ob ich denn nicht vielleicht 20 Cent übrig hätte. Sie bekommt trotz Schwerbehinderung so wenig Geld, dass es einfach nicht reicht. Und dann fügt sie ganz lustig an: „Und wenn Sie mir einen Euro geben, kaufe ich mir ein Eis – im November“. Da kann ich nicht anders und gebe der Frau einen Euro mit dem Hinweis, dass sie es sich gut schmecken lassen soll.
Sie fragt, woher ich denn komme. Ich erzähle, dass ich aus der Gegend um Frankfurt mit dem Zug angereist bin, einen Vortrag gehalten habe und nun auf dem Weg ins Hotel bin. Die Frau fragt: „Was kostet denn so eine Übernachtung in einem Hotel?“ Als ich antworte, dass ich es nicht genau wisse, aber etwa 80,- € mit Frühstück sein müsse, schaut mich die Frau staunend und traurig zugleich an. Mir wird klar, dass für sie 80,- € einen anderen Wert haben als für mich. Das macht mich traurig.
Die Frau fragt mich, was ich denn beruflich mache. Ich berichte kurz und auf meine Gegenfrage sagt sie, dass sie Rentnerin und Schwerbeschädigt sei. Ich frage sie, was denn vorher ihr Beruf war und sie erzählt, dass sie bei der Reichsbahn für drei Bezirke zuständig gewesen ist und dass sie das gerne gemacht habe.
Dann schwenkt sie im Thema um und äußert mit einmal:„ein Fahrstuhl hat mich heute eingequetscht. Ich wollte noch rein und war zu langsam. Da gingen einfach die Türen zu und haben mich eingequetscht. An der Schulter. Das tat weh. Was wird wohl mein Freund sagen, wenn ich mit einem Bluterguss nach Hause komme? Ich weiß schon. Er wird sagen: was hast du denn jetzt schon wieder gemacht?“ Ich antworte: „Sie haben doch gar nichts gemacht, es war der Fahrstuhl.“ Da lächelt sie mich traurig an. Meine Straßenbahn kommt und wir verabschieden uns. Sie bedankt sich mit den Worten, dass sie sich schon lange nicht mehr so nett unterhalten habe.